Entgegen vieler meiner Mitstudenten war das Design-Studium für mich purer Zufall. Ich hatte mich als Sohn von Ausländern für die klassische BWL-Laufbahn entschieden und Wirtschaft und Recht und Englisch als meine zwei Leistungskurse im Gymnasium gewählt. Leider war mein Numerus clausus niedriger als der gemähte Rasen von meinem Nachbarn. Mein innigst gehegter Traum als koksender Investmentbanker durch die Savannen zu steppen und dabei sämtliche Bauernfamilien aus Afrika in eine schwere Krise zu stürzen löste sich so denn wie der kalte Rauch der Zigaretten meines Vaters in Luft auf. Letztenendes kam Ich zu dem Design Studium über einen Freund, der sich ebenfalls an der selben Universität bewarb. Der Rest ist Geschichte.
Bin Ich richtig hier?
Vorgespult also zu meinen ersten Tagen als frischer Jungdesigner in Bozen. Alles war für mich neu. Die Art sich anzuziehen, zu riechen, zu reden, zu leben und zu wohnen. Die Bude meiner Eltern -mein Vater stolzer Besitzer eines Schreibwaren Ladens; meine Mutter Angestellte- sah aus wie ein persischer Jahrmarkt, auf dem 80-jährige Wiederbelebte selbstgehäkelte Tischdeckchen verkaufen und Serbo-Kroaten die Wände beim in-door-grillen so sehr mit Bratfett tränkten, dass diese transparent wurden. Ich hatte Herz und Hände, aber keinen blassen Schimmer von Design.
Ich hab’ Kartoffelsalat mitgebracht!
Univers Beim wein-tasting.
Der erste prägende Designkontakt für mich war dann der Nerd, der zu den Bewerbungsgesprächen für die Uni die komplette Einrichtung vom Boesner dabei hatte, während Ich mit einem Lotto Kugelschreiber und kariertem Schulblock aufkreuzte. Auf seinem schwarzen Shirt stand dann noch groß und in weiß „run“. Was ich zu der Zeit nicht wusste war, dass der Schriftzug in Helvetica Neue Bold Oblique gesetzt wurde. Diese Schrift kristallisierte sich im Laufe meines ersten Jahres an der Universität zum emotionalen Schlüssel in die weite Welt des Designs. Groß. Weiß auf Schwarz. In bold. Als Design-Alien war das damals für mich der Inbegriff des Designs.
Ist das Helvetica, oder kann das weg?
Es macht irgendwie Sinn: Für manch angehende Designer ist die Helvetica der Weg raus aus der kitschigen Realität des früheren Lebens; wie die Emanzipation aus dem Elternhaus. Design hat für mich und so viele andere Studierende das Gegenteil von Kunst bedeutet: Einfachheit, klare Linien und Formen, zielgerichtet, zeitlos und lösungsorientiert. „Minimale non fa male“, sagte mir einst ein guter Freund, und wir tätowierten uns diese Eingebung auf unsere virtuelle Stirn; trugen sie vor uns her wie sabbernde Hunde ihre Stöcke. Diese Schrift einte nicht nur uns zwei, sondern gleichermaßen alle unsere Kommilitonen. Die Helvetica, als die Königin des Minimalismus, war der Nordstern, mit dessen Hilfe wir uns durch die Ozeane schlechten Geschmacks manövrierten; hin zum Design-Paradies, in dem Zitronensaft, gepresst von Starck persönlich die Bäche hinunter plätschert und diverse Lebensformen leicht erregt auf Stühlen von Grcic sitzend die subtile Erotik von Sagmeisters Werbekarten auf sich wirken ließen.
In den späten 70ern, als diese Schrift langsam populär wurde, schmückten noch Script-Schriftarten viele grafische Arbeiten. Die Schweizerin ist kalt, neutral und zurückhaltend. Sie drängt sich nicht auf, ist unvoreingenommen; zeitlos, und doch leitet sie eine neue Ära der Gestaltung ein. Als Linotype die Helvetica dann in den 80ern unter anderem an Apple, Xerox und Adobe lizenzierte, zementierte sie endgültig ihren Status als die einzige Font welche die Menschheit braucht. Viele verschiedene Unternehmen verwenden sie, wie zum Beispiel Toyota, Panasonic, BMW, Lufthansa, Oral-B, Motorola, Knoll, Jeep, Nestlé und Harley-Davidson. Sogar deine Großmutter würde sich mit der Helvetica eine Brand Identity für ihre Butterkekse aufbauen, wenn sie etwas von Brand Identity oder Butterkekse verstehen würde.
Unsere tägliche Helvetica gib uns heute
Die Schrift besitzt eine solche Ambivalenz, dass ein amerikanischer Designer namens Cyrus Highsmith den Versuch wagte einen Tag ohne die Helvetica auszukommen. Er durfte keine Produkte konsumieren und keine Dienstleistungen in Anspruch nehmen, welche diese nutzten. Ohne weiter ins Detail zu gehen: Es ist fast unmöglich. Und das war noch zu einer Zeit, in denen der stilsichere Mensch oversized Etnies trug und zwielichtige Gestalten in Trenchcoats mit AOL CDs die Öffentlichkeit heimsuchten. Durch Portale wie Behance, zahlreiche Online Ressourcen wie Blogs und kreative Outlets wie Instagram, Magazine und Homepages verbreitete sich die Nutzung der Helvetica auf ein Neues wie deutsche Handtücher auf den Stränden Spaniens.
Allerdings wurde die Schrift Opfer ihrer eigenen Popularität. Selbst damals, dann schon nahe dem Ende meiner Zeit als Student, wurde die Verwendung der Schrift zum Treppenwitz. Der helle Nordstern erblasste. Nach dem Studium weigerte ich mich lange Zeit die type family zu verwenden. Zu oft wurde sie benutzt. Mit diesem Gefühl stand Ich auch nicht alleine da. In Highsmith‘s Buch „Just my Type“ ist eine der vielen Anekdoten die des Boykotts der Helvetica und der andauernde Kampf zahlreicher anderer Typografen diese aus ihren Leben fern zu halten. In der Designpraxis lernte Ich, dass die Helvetica der sichere Hafen ist. „When in doubt, choose Helvetica“. Das ist nicht nur immer noch wahr, sondern auch ermüdend.
Bin Ich schon edgy, oder dauert das noch?
Die Vorzüge der Helvetica sind für mich schon lange nicht mehr so wichtig wie sie einst waren. Neue Typografie und modernes Typografie-Design sind Dank vieler junger Open-Source Type-Foundries viel experimenteller und demokratischer geworden. In heutigen Zeiten, in denen Perfektion und Stromlinienförmigkeit in vielen Lebensbereichen Einzug hält, ist anarchistisches Typo-Design nur ein weiteres Ventil kreativen Ausdrucks unter vielen anderen Disziplinen des Designs und der Kunst. Regeln werden gebrochen, nichts ist mehr heilig. Individualismus wird groß geschrieben. Wir wollen anecken, auffallen. Da wirkt eine kantenlose Helvetica irgendwie aus der Zeit gefallen.
Vieles hat sich im Laufe meines Lebens verändert und so auch mein Verständnis von Design. Klarheit, Konformität, Minimalismus und Perfektion sind mir bei Weitem nicht mehr so wichtig wie sie einst waren. Persönlichkeit, Wiedererkennungswert und sogar Exzentrizität schreibe Ich mittlerweile mehr Relevanz zu. Das muss nicht über Typografie erreicht werden, allerdings ist diese eine willkommene Komplizin. Kunst darf ruhig wieder Einzug im Design halten, genauso wie Bratfett und persische Teppiche. Ist das ein Rückschritt? Vielleicht ist es ein nie endender Kreislauf und die neu erschienene Helvetica Now entflammt den Hype von damals wieder erneut. Vielleicht ist es auch wieder irgendwann langweilig aufzufallen. Bist es soweit ist allerdings, werde Ich ungeniert mit der Univers ausgehen. Vielleicht lade ich ja sogar die Arial ein. Ich habe gehört, dass das große „R“ unter Typografen pure Ekstase auslöst.